Als wir vor ca. 18 Monaten das Schwerpunktthema für diese Ausgabe der Marketing Review St. Gallen definierten, waren Large-Language- Modelle und deren prominentester Vertreter ChatGPT noch nicht auf dem Radar der Marketers in Forschung und Praxis angekommen. Trotzdem beschäftigte uns bereits in Diskussionen mit Führungskräften und in unseren Forschungsprojekten eine Herausforderung: In welchem Verhältnis stehen datengetriebene Marketingansätze zum Gebot der kreativen Differenzierung?
Mit der fortschreitenden Digitalisierung unserer Gesellschaft und der Integration interaktiver und digitaler Methoden und Medien im Marketing verändern sich die Grundlagen für die Gestaltung markt- und kundenorientierter Strategien und Aktivitäten. Damit setzt sich auch ein fundamentaler Glaube an die «Macht der Daten» bzw. das Verständnis von Daten als Wettbewerbsvorteil («Data is the New Oil») zunehmend in den Unternehmen durch. Vergessen wird aber häufig, dass alleine der Zugriff auf einen weitreichenden Datenbestand noch lange nicht ausreicht, um nachhaltige Kunden- und Differenzierungsvorteile aufzubauen. Vielmehr gilt es, überlegene Erkenntnisse aus den Daten abzuleiten und entsprechende Konsequenzen für das Unternehmensverhalten abzuleiten – «Data makes your briefcase heavy – Insights make you rich!».
Differenzierungsvorteile und Alleinstellungsmerkmale basieren vielfach auf Ansätzen, deren Grundlage dann nicht unbedingt die «reine» Datenlage ist, sondern deren kreative Interpretation und innovative Umsetzung erfordert. Dennoch: Large-Language-Modelle wie ChatGPT und andere KI-getriebene Ansätze wie Bard und Dall-E stellen unser klassisches Verständnis davon infrage, wie Marketing dazu beiträgt, Marken, Unternehmen und ihre Angebote zu differenzieren. Marketing, wie wir es kennen, ist jedoch – zumindest heute – immer noch auf die Kreativität von Menschen angewiesen, sei es in der Marketingabteilung, in Werbeagenturen oder Markenberatungen. Gerade auch in der Nutzung von Large-Language-Modellen und KI-getriebenen Ansätzen!
Innovative Ansätze, die menschliche Kreativität mit analytischen Erkenntnissen und digitalen Schnittstellen verbinden, könnten den Weg zu neuen Marketingaktivitäten ebnen. Doch wie können Advanced Analytics, maschinelles Lernen und intelligente Automatisierung genutzt werden, um eine verwertbare Wissensbasis zu schaffen, die nicht nur hilft, die Handlungen der Kundinnen und Kunden zu verstehen, sondern auch echte Kreativität und eine Differenzierung auf dem Markt zu erreichen? Welche Methoden sind geeignet, um aus Datenstrukturen eine nachhaltige Positionierung oder effektive Marketingkampagnen abzuleiten?
Diesen Fragen widmet sich die aktuelle Ausgabe unserer Marketing Review St. Gallen. Viel Spass bei der Lektüre!
Prof. Dr. Marcus Schögel, Prof. Dr. Dennis Herhausen