Preise auf internationalen Kunstauktionen: Große Kunst oder Marketing?
In letzter Zeit wird die Rolle des Marketings für Preise auf internationalen Kunstauktionen vermehrt in Frage gestellt. Während hohe Preise als „Marketing-Stunt“ [1] bezeichnet werden, verändern neue Technologien und junge Sammlergenerationen das Marktumfeld. Dirk Boll zufolge hat das Marketing die Kanonisierung – die traditionelle Auswahl und Anerkennung von Kunstwerken innerhalb der Kunstgeschichte durch ausgewiesene Experten und Institutionen – bereits überholt [2]. Diese Tatsache verstärkt die Notwendigkeit, die Macht und die Grenzen des Marketings für Kunstauktionspreise neu zu erforschen.
Banksy, Da Vinci und Beeple
Jeder ist in den Medien regelmässig mit Kunstauktionsrekorden konfrontiert und kennt etwa den geschredderten Banksy [3] [4], den 450 Millionen Dollar teuren Da Vinci [5] oder den 69 Millionen Dollar teuren Beeple NFT [6]. Die Frage ist: Warum sind diese Kunstwerke Millionen von Dollar wert? Sind die Rekordpreise das Ergebnis von Marketing oder ein Spiegel des künstlerischen Genies? Während sich die vorhandene Literatur über Preise auf internationalen Kunstauktionen auf die Quantifizierung einzelner Preisdeterminanten fokussiert, betonen Fachleute die Rolle nicht quantifizierbarer Faktoren, wie künstlerischer Wert und Kanonisierung. Für die Praxis ist ein umfassendes Verständnis der relevanten Preisdeterminanten gerade in dem sich gegenwärtig wandelnden Markt unerlässlich: etwa damit Händler, Verkäufer und Käufer mit der zunehmenden Komplexität des Kunstmarktes und der wachsenden Datenmenge umgehen können.
Auktionsrekorde: Ein Spiegel künstlerischen Genies? Oder das Ergebnis von Marketing?
Für die Theorie ist es ebenso wichtig, die Preise auf internationalen Kunstauktionen in ihrer Komplexität zu verstehen, nicht bloß als Zahl oder Index. Die vorhandene Literatur ist jedoch interdisziplinär und fragmentiert. Die meisten Studien verwenden quantitative Methoden, um die Auswirkungen einzelner preisbestimmender Faktoren zu analysieren, vom Geschlecht des Künstlers über den Sonnenschein bis hin zum Terrorismus. Diese Studien reichen nicht aus, um den dem Kunstmarkt inhärenten Bewertungsmechanismus zu ergründen. Insbesondere werden sie der Bedeutung nicht quantifizierbarer Faktoren wie Provenienz oder Kanonisierung nicht gerecht.
Ein Brückenschlag zwischen Kunstgeschichte und Wirtschaft
Das Forschungsprojekt verbindet und bereichert die interdisziplinäre und fragmentierte Literatur über Preise auf internationalen Kunstauktionen mit eingehender qualitativer Forschung in den größten internationalen Auktionshäusern. Sie verbindet die wissenschaftlichen Erkenntnisse über quantifizierbare Preisdeterminanten mit der langjährigen Erfahrung von Experten in Auktionshäusern. Auf dieser Grundlage wird ein konzeptioneller Rahmen für den Preismechanismus von Kunstauktionen entwickelt. Er fasst statistisch signifikante Preisdeterminanten zusammen, veranschaulicht den marktinhärenten Bewertungsmechanismus und berücksichtigt gegenwärtige Entwicklungen wie neue Sammlergenerationen und neue Technologien.
Die Macht und Grenzen des Marketings
Ein Großteil der quantitativen Literatur über Kunstauktionspreise wird von Fachleuten als „esoterisches Zahlenwerk“ kritisiert, das für die Erklärung von Kunstpreisen entweder irrelevant oder unzureichend ist. Quantitative Methoden sind jedoch erforderlich, um statistisch signifikante Preisdeterminanten zu ermitteln. Ausserdem ist eine Kombination mit qualitativen Methoden notwendig. In diesem Forschungsprojekt wird argumentiert, dass eine interdisziplinäre Perspektive sowie die Berücksichtigung von quantitativen und qualitativen Preisdeterminanten notwendig ist – auch, um die wahren Möglichkeiten und Grenzen des Marketings zu identifizieren.
So what?
Die Kunstauktion ist eine sozial konstruierte, interaktive und durch Marketing beeinflussbare Verkaufssituation. Als solche werden die Preise auf internationalen Kunstauktionen von verschiedenen quantifizierbaren und nicht quantifizierbaren Preisdeterminanten beeinflusst, sowie durch wirtschaftliche, soziale und politische Aspekte bestimmt. Alle preisbestimmenden Faktoren bilden zusammen ein Beziehungsnetzwerk und beeinflussen sich gegenseitig. Das Verständnis dieses Beziehungsnetzes ist für Händler, Käufer und Verkäufer zentral, um sich auf dem zunehmend komplexen Markt zurechtzufinden.
In aller Kürze kann man Laura Nolls Dissertationsthema auch als Video betrachten:
[1] https://news.artnet.com/market/beeple-everydays-controversy-nft-or-not-1952124
[2] https://www.handelszeitung.ch/unternehmen/christies-prasident-dirk-boll-der-gewinn-bei-nft-ist-signifikant-hoher
[3] https://www.sothebys.com/en/buy/auction/2021/british-art-modern-contemporary/girl-with-balloon-2
[4] https://www.sothebys.com/en/buy/auction/2021/contemporary-art-evening-auction-2/love-is-in-the-bin-2
[5] https://www.artsy.net/article/artsy-editorial-450-million-leonardo-da-vinci-expensive-artwork-time
[6] https://onlineonly.christies.com/s/beeple-first-5000-days/beeple-b-1981-1/112924