What’s next for 2022?
Die aktuelle Zeit ist geprägt von Unberechenbarkeiten, abhanden gekommenen Sicherheiten und fehlenden, langfristigen Orientierungspunkten. „Auf Sicht fahren“ scheint das Gebot der Stunde. Damit das abnehmende Tempo dieses Zugangs einen nicht vollkommen ausbremst und man die Orientierung im Dunst der Pandemie verliert, macht es Sinn, sich zu fragen, welche Themen das eigene Marketing und die Unternehmensführung in den kommenden Jahren massgeblich beeinflussen werden. Und da wir uns ja mitten im Jahreswechsel befinden, ist es angesagt Mark Twain’s Ratschlag zu folgen: „It is easy to make predictions …“. Also dann!
Im Folgenden werden einige Thesen vorgestellt, die sich in den letzten Tagen und Wochen wie ein roter Faden durch verschiedene Präsentationen unserer Studierenden im Master in Marketing Management zogen. Auch in der „Marketing Class“ unseres MBA-Programms fanden sich viele Hinweise, dass einige Dinge, denen wir sicherlich gut und gerne einige Jahre Entwicklungszeit gegeben hätten, schon fast „um die Ecke stehen“, um uns in den kommenden Monaten und Jahren reichlich zu beschäftigen. Zudem sind die Diskussionen im Rahmen unserer Doktorandenkolloquien an der HSG immer ein Hort für frische Gedanken und Perspektiven.
Die folgenden Bemerkungen sollen daher zum Nachdenken anregen – und auch Diskussionen auslösen. Es sind Thesen, die hier nur skizzenhaft dargestellt sind. Sie sind nicht als Handlungsempfehlung gemeint, sondern als Impulse, um aktuelle Perspektiven zu hinterfragen und sich für neue Chancen und Herausforderungen zu öffnen.
NFT – Blockchain ja, aber nicht Bitcoin!
Fast wie ein schwarzer Schwan flogen die „Non Fungable Tokens“ (kurz NFTs) in das Ecosystem des Marketing ein. War die Blockchain-Technologie jahrelang eher etwas für Technologieunternehmen, Grundbuchämter und Währungsexperten, so liess die Revolution im Marketing auf sich warten. Um so unerwarteter ist die Dynamik, mit der sich NFTs aktuell in das Sichtfeld der Marketeers schieben. Seien es digitale Kunstwerke, die ihren Auktionswert durch eine unverwechselbare Signatur rechtfertigten, Luxusmarken (allen voran Louis Vuitton), die ihre (aktuellen und zukünftigen) Produkte und Services kennzeichnen wollen oder aber Quentin Tarantino, der die „Stills“ aus seinem Film Pulp Fiction mit NFTs versehen will, um sie damit zu echten Unikaten zu machen – allen liegt die erste ernst zu nehmende Anwendung der Blockchain Technologie im Marketingumfeld zugrunde. Durch eine in der Blockchain abgelegte und damit einzigartige Signatur werden Echtheit und Herkunft eineindeutig einem einzelnen Gegenstand zugeschrieben [1]. Aktuell ist der Hype um die NFTs kaum zu überblicken. Zu viele Anwendungen scheinen möglich und in kaum einer Chefetage oder Unternehmensberatung werden nicht Optionen und Investments in NFTs diskutiert. Wo und wie aber die Grenzen für NFTs zu ziehen sein werden, müssen die Diskussionen, Versuche und Prototypen in den kommenden Monaten zeigen.
Metaverse – Gerne auch mit „Meta“!
Wer sich noch an die Hochzeiten von «Second Life» erinnert, steht dem Gedanken des Metaversums wahrscheinlich eher kritisch gegenüber. Zu laut und undifferenziert waren damals die Prognosen, zu plötzlich war der Hype um den virtuellen Raum der Linden Labs auch wieder vorbei. Wahrscheinlich hilft es, die Idee einer digitalen Lebenswelt als Erweiterung unserer Physischen unbefangen und neu zu denken. Dass einem dabei zwangsläufig Henry Ford’s „Faster Horses“ in den Sinn kommen, verdeutlicht den Gestaltungsraum, der sich aus den Visionen und Ideen rund um das Metaverse ableiten lässt. Wenn sich dabei der Wettstreit der Ideen ähnlich vielfältig und disruptiv entwickelt wie im Fall früherer „Innovationsschübe“ (wie bspw. das WWW, mobiles Internet oder aber Künstliche Intelligenz), dann steht uns eine dynamische Entwicklung bevor, die hoffentlich ohne eine Dominanz von einzelnen Playern (den sog. GAFA’s [2]) einhergeht. Stellen sich die Player angemessen auf, dann wird der Wettbewerb zeigen welche Lösungen sich durchsetzen. Dann kann „Meta“ auch gerne mitspielen…
Nachhaltigkeit – aber ohne Pathos
Kein Thema ist mit einer grösseren Selbstverständlichkeit aus dem Schatten der Pandemie in die Mitte der Gesellschaft herausgetreten. Jedoch geht damit (immer noch) ein gewisser Pathos einher, der dem Thema nicht mehr gerecht wird. Nachhaltigkeit bedeutet heute eben nicht die Entscheidung gegen traditionelle Konventionen und für einen bestimmten Lebensstil, sondern ist eine Notwendigkeit. Damit muss das Thema dazu beitragen, dass Unternehmen ihre Kunden und ihre veränderten „Jobs to be done“ besser verstehen, Innovationen neu denken und damit langfristige Erfolgspositionen finden, die jenseits des „Greenwashing“ und „De-Coupling“ funktionieren. Bill Gates’ Gedanken zum Thema Nachhaltigkeit helfen hier bspw. in vorbildlicher Art und Weise den Innovationsgedanken mit dem Thema der Nachhaltigkeit „zu verheiraten“ [3].
Brand Activism – Wirkung zeigt Haltung
Waren die letzten Jahre durch eine inflationäre (und vielfach unreflektierte) Verwendung des Begriffs „Purpose“ im Marketing und Markenkontext geprägt, scheint sich mit der Spielform des „Brand Activism“ eine aktionsorientierte Form des Umgangs mit Haltungen von Unternehmen abzuzeichnen [4]. Gesellschaftlich orientierte Wertekategorien in Visionen, Missionen oder Brand Purposes zu integrieren reicht eben dann doch nicht aus, um die anspruchsvollen Kundengruppen der Generationen Y, Z (oder auch schon Alpha) zu überzeugen. Dementsprechend werden Initiativen, die dem Grundmuster des „Brand Activism“ folgen, sowohl in- als auch extern zu wirken, in der nächsten Zeit diejenigen sein, die auch auf Marken und Unternehmenswerte am nachhaltigsten einzahlen. Seien es Kampagnen von Oreo bzw. Nike, Events von Ben & Jerry’s oder aber die Vertriebsansätze von Patagonia: „An ihren Taten sollt Ihr sie erkennen!“ – Dieses Postulat gilt dann auch hier!
Die Antwort auf GDPR und fehlende Cookies? Engagement!
Da nun mit den ersten US-amerikanischen Bundesstaaten Kalifornien, Colorado und Virginia ähnliche konsequente Datenschutzrichtlinien in Kraft getreten sind wie in der europäischen Union mit GDPR, wird es Zeit für ein Umdenken im Umgang mit der Privatsphäre der Kunden. Zudem wird das wild wuchernde blosse Sammeln von Kundendaten über „3rd Party Cookies“ durch den sogenannten „Cookiegeddon“ demnächst ausgelöst von Google, dazu führen, dass andere Zugänge zu den tradierten Ideen der Individualisierung und des Customizing gefunden werden müssen. Die Antwort liegt in der Orientierung am aktiven Engagement des Kunden für die Interaktion mit dem Unternehmen. Damit ist aber nicht nur der „Like“ oder ein Emoji in der Kommentarzeile zu einem Social Media Post gemeint, sondern „Das Engagement des Kunden ist die fortlaufende Interaktion zwischen Unternehmen und Kunde, die vom Unternehmen angeboten und vom Kunden gewählt wird“ [5]. So einleuchtend diese Definition ist, so einfach erscheint auf den ersten Blick die Umsetzung: Permission-Marketing [6] und „kleine Jas“ [7]! Wenngleich beide Konzepte fast in der „Mottenkiste“ des Marketing verschwunden waren, haben sie sich nicht nur in den Projekten unserer Studierenden als wertvolle Ansätze zur Entwicklung langfristiger Interaktionen erwiesen. Gelingt es, durch die bewusst eingeforderte Erlaubnis des Kunden über mehrere kleine Schritte eine positive Wirkungskette aufzubauen, steigt das Engagement des Kunden und seine Daten helfen dann dort zu interagieren, wo ein Mehrwert für beide Seiten entsteht. Dieser Zugang fordert aber Unternehmen massgeblich: Der bisher anscheinend vorherrschende Ansatz „Kommuniziere viel mit wenig Inhalt!“, um möglichst viele Daten zu sammeln ist kaum noch wirksam. Im Gegenteil scheinen es die Kunden zu schätzen, wenn klare Angebote, Strukturen und Vorteile von Unternehmen erarbeitet und dann kommuniziert werden. Dann wird auch aus rechtlich getriebener Datensicherheit endlich eine kundenzentrierte Data Privacy!
Diese Hinweise sind sicherlich nur kurze „Spotlights“ auf massgebliche Veränderungen. Je nach Unternehmens-, Markt- oder Kundensituation ist eine andere Vertiefung wichtig. Hoffentlich regten sie aber dazu an, weiter zu denken! Wir freuen uns über Kommentare, Anregungen und Hinweise!
[1] Im Kern kommen wir damit wieder zum Ursprung des Branding – der Markierung zur Identifikation von etwas Spezifischem – zurück.
[2] GAFA: Google, Amazon, Facebook und Apple.
[3] Gates, B. (2019): How to Avoid a Climate Disaster : The Solutions We Have and the Breakthroughs We Need.
[4] Sarkar, C & Kotler, P. (2018): Brand Activism: From Purpose to Action.
[5] Greenberg, P. (2019): The Commonwealth of Self Interest Business Success Through Customer Engagement.
[6] Godin, S. (2002): Permission Marketing – How to turn strangers into friends and friends into customers.
[7] Vögele S. (2002): Dialogmethode. Das Verkaufsgespräch per Brief und Antwortkarte.