Marketing – und somit auch Markenführung – ist niemals objektiv, sondern letztlich immer konstruktivistisch geprägt: Entscheidend ist, was (potenziell) Konsumierende aufgrund von selektiver, subjektiver Wahrnehmung bzgl. einer Marke wissen, denken, glauben und fühlen. Es geht um das Bild in Kopf, Herz und Bauch – sowie darum, wie relevant und verfügbar eine Marke für die Konsumierenden ist.
Der Ausdruck «Branding» meint, dass Marketeers Marken aktiv managen sollten. Markenmanagement bezeichnet dabei die bewusste Gestaltung (Konzeption, Strategie), Führung (Einsatz der Marketinginstrumente, Begeisterung von Mitarbeitenden, Partnern und Konsumierenden) sowie die räumliche und zeitliche Entwicklung einer Marke (z.B. digitale Transformation). Mit «contemporary» ist gemeint, dass dieser Managementprozess immer wieder hinterfragt und auf die aktuelle Zeit angepasst werden muss.
Byron Sharp hat in seinen Büchern über Markenwachstum (How Brands Grow) das Konzept der Verfügbarkeit von Marken in den Mittelpunkt gestellt: Dabei unterscheidet er zwischen mentaler und physischer Verfügbarkeit. Letztlich verbindet er damit klassische Marketingmanagement- Ansätze unterschiedlicher «Schulen»: Mentale Verfügbarkeit ist, vereinfacht ausgedrückt, das Ergebnis klassischer Markenführung – der Aufbau von Markenwissen mit hoher Bekanntheit und eindeutigen, einzigartigen und relevanten Markenassoziationen. Physische Verfügbarkeit bezeichnet das Konzept, wie einfach eine Marktleistung in Raum und Zeit erhältlich ist – also letztlich die Konsumreife. Je grösser der Distributionsgrad, je weniger Medienbrüche es für die Konsumierenden gibt und je geringer die erforderlichen Kaufanstrengungen, desto besser. Die Grundidee ist: Konsumierende sind träge; daher sollte man ihnen das Kaufen so einfach wie möglich machen. Dieses Prinzip ist sehr nah an den klassischen Ansätzen des Dialogmarketings (Siegfried Vögele), der Kundenprozessforschung, des Performance-Marketings oder des Customer-Journey-Managements in einer sogenannten «Omni-Channel»-Umgebung.
Beide Arten der Verfügbarkeit dürfen nicht getrennt gesehen werden, sondern gehören zusammen. Klassisches, «schönes» Branding allein ist meist nicht ausreichend für einen nachhaltigen Marketingerfolg. Und einseitig dialogorientiertem Performance- Marketing, das den Konsumierenden das Kaufen einfach macht, fehlt der inhaltliche Kern. Mentale und physische Verfügbarkeit unterstützen sich gegenseitig – genau wie klassisches Branding und Performance-Marketing. Wie so oft im Marketing: Der Mix entscheidet.
Die vorliegende Marketing Review St. Gallen-Ausgabe beleuchtet das Thema «Branding» daher aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Die Aktualität der Beiträge unterstreicht die «zeitgenössische », moderne, digitale Sichtweise auf dieses klassische Markenthema. Viel Vergnügen bei der Lektüre!
Prof. Dr. Sven Reinecke